Was ist ein Wirbelgleiten?
Als Wirbelgleiten oder fachsprachlich Spondylolisthesis (aus dem Griechischen „Spondylos“ – Wirbel und „Olisthesis“ – Gleiten) bezeichnen wir die Verlagerung eines Wirbelkörpers (Gleitwirbel). Dieses Gleiten kann sowohl nach vorne über den darunter liegenden Wirbelkörper (Ventrolisthese oder Anterolisthese) oder nach hinten (Retrolisthese) erfolgen. Am häufigsten tritt ein Wirbelgleiten im Bereich der Lendenwirbelsäule, und hier vor allem zwischen den 4. und 5. Lendenwirbelkörper auf. Ein „Wirbelgleiten“ ist ein Zeichen für eine Instabilität in einem Wirbelsäulensegment.
Was sind die Ursachen eines Wirbelgleitens?
Am häufigsten tritt ein Wirbelgleiten im höheren Lebensalter aufgrund von Verschleißprozessen (Degeneration) auf. Dieser Alterungsprozess kann sowohl die Wirbelkörper, die Bandscheiben, die kleinen Wirbelgelenke, Bandstrukturen und die Muskulatur betreffen. Die kleinen Wirbelgelenke bilden Anbauten, der Bandapparat erschlafft und verdickt sich, die Bandscheiben werden schmaler (verlieren an Elastizität) und die Wirbelkörper können aufeinander reiben. Die kleinen Wirbelgelenke können sich verschieben und teilweise auseinander rutschen. Hierdurch wird die Gleitbewegung des Wirbelkörpers ermöglicht.
Im Falle des früh, im Kindes-/Jugendalter erworbenen, isthmischen Wirbelgleitens (Spondylolisthesis vera) kommt es zu einer Schädigung des Wirbelbogens im Übergang zum Wirbelköper mit resultierender Ausdünnung bis hin zur Spaltbildung, die als Spondylolyse bezeichnet wird. Davon ist in 80 Prozent der 5., also letzte Lendenwirbel betroffen. Aufgrund der fehlenden Ankerfunktion des Wirbelbogens kann sich der Wirbelkörper stetig weiter nach vorne verschieben und somit vom Wirbelbogen entfernen. Hierdurch kommt es zu einer frühzeitigen Abnutzung der Bandscheibe beim Erwachsenen.
Welche Beschwerden können auftreten?
Ein Wirbelgleiten entwickelt sich häufig asymptomatisch und stellt oftmals einen radiologischen Zufallsbefund dar. Im frühen Alter können lokale, belastungsabhängige Rückenschmerzen vor allem im Rahmen sportlicher Aktivitäten auftreten. Je nach Stärke des Wirbelgleitens können die Nerven in Ihrem Nervenaustrittsloch zwischen Bandscheibe, Gelenk und Wirbelbogen eingeengt werden. Dann entstehen ausstrahlende Gesäß-Beinschmerzen verbunden mit einer möglichen Taubheit und Kribbelmißempfindungen („Ameisenlaufen“). Plötzlich auftretende Lähmungen inklusive einer Blasenlähmung sind äußerst selten.
Im Rahmen eines verschleißbedingen Wirbelgleitens kommt es neben einem belastungsabhängigen Rückenschmerz häufig zu den Symptomen einer Spinalkanalstenose. Aufgrund der Kombination aus verdickten Wirbelgelenken, der Gleitbewegung des Wirbelkörper selbst, der Abnahme der Bandscheibenhöhe und der Verdickung der Bandstrukturen wird der Spinalkanal zusätzlich eingeengt. Typische Symptome sind eine verkürzte Gehstrecke („Schaufensterkrankheit“) bei kombinierten Rücken-, Gesäß-, Beinschmerzen mit der typischen Besserung der Beschwerden im Sitzen bzw. beim Vorbeugen (siehe auch
).Wie stellt man ein Wirbelgleiten fest?
Neben der ausführlichen Untersuchung und Befunderhebung wird zur Diagnosesicherung eines Wirbelgleitens ein Röntgenbild des betroffenen Wirbelsäulenabschnittes in 2 Ebenen angefertigt. Zusätzliche Röntgenbilder in Vor- und Rückneigung (Funktionsaufnahmen) erlauben eine Abschätzung der segmentalen Beweglichkeit.
Das Ausmaß des Wirbelgleitens kann zunächst vereinfacht nach Meyerding klassifiziert werden. Im seitlichen Röntgenbild viertelt man die Deckplatte des unten liegenden Wirbelkörpers in 4 gleichgroße Anteile. Entsprechend der Hinterkante des darüber liegenden Wirbelkörpers erfolgt die Einteilung (Meyerding Grad 1-4). Liegt ein Gleitvorgang unter 50% vor so sprechen wir von einer Low grade, darüber von einer High grade Spondylolisthesis.
Mit der Magnetresonanztomographie (MRT, oder auch Kernspintomographie genannt) kann neben den degenerativen Strukturveränderungen das Ausmaß der Spinalkanalstenose und die Bedrängung der Nervenstrukturen beurteilt werden. Vor allem bei Kindern kann das Auftreten eines Knochenödems („Pedikelödem“) ein erster Hinweis auf das Entstehen einer Spondylolyse sein.
In der Computertomograhie (CT) können die knöchernen Strukturen genauer beurteilt und das Ausmaß der knöchernen Defekte eingeschätzt werden.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Wenn es sich bei beschwerdefreien Patienten um einen Zufallsbefund handelt, ist keine spezifische Therapie notwendig. Patienten mit belastungsabhängigen Rückenschmerzen sollten die wirbelsäulenstabilisierende Rücken- und Bauchmuskulatur trainieren, ein rückengerechtes Verhalten erlernen, sich gesund ernähren und Übergewicht reduzieren.
Bei Kindern sollte aufgrund der Gefahr der Zunahme des Wirbelgleitens eine regelmäßige klinische und auch radiologische Kontrolle erfolgen. Bei großem Gleitvorgang (high-grade) und Zeichen der segmentalen Deformität (Kyphose) ist eine frühzeitige operative Versorgung zu empfehlen. Bei Kindern mit Rückenschmerzen, bei denen ein frisches Ödem in der MRT-Untersuchung gesichert werden konnte, ist zumindest eine kurzfristige Sportkarenz neben einem muskulären Training einzuhalten.
Wann Operation?
Eine Operation ist frühzeitig notwendig bei Kindern mit einem zunehmenden Wirbelgleiten, einem hochgradigen Gleitvorgang (high grade) in Kombination mit einer segmentalen Deformität oder einer aus dem Gleitvorgang resultierenden, globalen Wirbelsäulendeformität.
Bei geringeren Gleitvorgängen besteht eine relative Indikation zur Operation bei anhaltenden Beschwerden trotz Ausschöpfung der konservativen Therapiemöglichkeiten, dem Nachweis einer eindeutigen Instabilität, neurologischen Ausfallerscheinungen oder einer Symptomatik aus einer Spinalkanalstenose heraus. Bei höhergradigen Lähmungen und/oder einer Störung der Blasenfunktion sollte zeitnah und dringend eine Operation erfolgen.
Die operative Behandlung des Wirbelgleitens der Lendenwirbelsäule wird über eine so genannte Stabilisierungsoperation („Versteifung“, Spondylodese) durchgeführt. Hierbei werden die betroffenen Wirbelkörper über Schrauben und Stäbe fixiert. Wenn möglich, erfolgt die Reposition des Gleitwirbels und die Aufrichtung des Segmentes. Zwischen die Wirbelkörper wird ein Platzhalter (Cage) eingebracht. In den meisten Fällen wird diese Operation in einem einzigen Eingriff vom Rücken aus durchgeführt.
Wie wird die Operation durchgeführt?
Die Operation erfolgt in Vollnarkose in Bauchlage und dauert im Schnitt 2,5-3 Stunden. Es wird ein Hautschnitt von ca. 8 cm Länge in der Mitte der Wirbelsäule gesetzt. Über diesen Zugang werden die Schrauben eingebracht, die Bandscheibe entfernt und der Platzhalter zur Überbrückung eingesetzt. Zusätzlich wird hierbei auch die Einengung des Spinalkanales beseitigt. Die Operation geschieht unter Einsatz eines Operationsmikroskops, um eine hohe Sicherheit zu gewährleisten.
Welche Komplikationen können auftreten?
Trotz größter Sorgfalt können während und nach einer Operation unerwartete Störungen und Komplikationen auftreten. Es kann zur Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit der Beine, zu Gefühlsstörungen oder Funktionsstörungen der Blase und des Darms kommen. Implantate können sich lockern, es kann ein Repositionsverlust auftreten und die alten oder auch neue Beschwerden (wieder) auftreten. Eine Versteifungsoperation stellt einen Risikofaktor für die Entstehung von weiteren Verschleißprozessen, z.B. in den Anschluss Segmenten dar, die Entstehung ist aber multifaktoriell.
Wichtig ist zu verstehen, dass durch eine Operation in einem Wirbelsäulensegment nicht das allgemeine Problem von Rückenschmerzen gelöst und der Alterungsprozess, den wir alle durchlaufen, gestoppt werden kann. Eine multisegmental geschädigte Wirbelsäule wird durch einen derartigen Eingriff nicht in den Zustand eines 20-Jährigen gebracht. Eine solche Operation setzt einen hohen Qualitätsstandard voraus. Dennoch gelten diese Operationsverfahren heute als Goldstandard der Wirbelsäulenchirurgie.
Bei korrekter Indikation und Durchführung liegt die Erfolgsaussicht nach einem Ersteingriff bei mehr als 80%.
Wann dürfen Sie wieder arbeiten?
Die Arbeitsfähigkeit richtet sich nach dem ausgeübten Beruf. In der Regel betragt die Arbeitsunfähigkeit 4 Wochen bis 3 Monate. Wenn Sie im Sitzen arbeiten, sollten Sie ganz besonders auf eine rückengerechte Körperhaltung achten. Als Hilfsmittel bieten sich u.a. ergonomische Stuhle und Stehpulte an.
Wann dürfen Sie wieder Sport betreiben?
Mit Joggen, Fahrrad fahren oder Schwimmen können Sie in der Regel 6 Wochen nach dem Eingriff beginnen. Ball- und Kontaktsportarten sollten Sie frühestens nach 3 Monaten und erst bei Beschwerdefreiheit aufnehmen.