Bei einem „Vorfall“ denken wir sofort an ein plötzliches, schmerzhaftes Ereignis. Doch der Bandscheibenvorfall (auch: Bandscheibenprolaps oder Discusprolaps) tritt nicht immer auf diese Weise auf, manchmal bleibt er sogar lange unbemerkt

Was ist ein Bandscheibenvorfall?

Großer Bandscheibenvorfall L5/S1

Großer Bandscheibenvorfall im seitlichen Bild (mit Pfeil markiert) zwischen 5. Lendenwirbel (L5) und Kreuzbein (S1)

Tatsächlich rührt der Name daher, dass Bandscheiben „vor fallen“. Das bedeutet, dass Anteile des gallertartigen inneren Kerns (Nucleus pulposus) ihren äußeren, widerstandsfähigen und schützenden festen Ring (Anulus fibrosus) durchbrechen. Der verrutschte Gallertkern kann nun, je nach Lokalisation, gegen einzelne Nerven oder das Rückenmark drücken – und so Schmerzen und sogar Lähmungen verursachen.

Wo kann ein Bandscheibenvorfall auftreten?

Die Bandscheiben sind fest zwischen den Wirbelkörpern verankert und funktionieren als Puffer oder Stoßdämpfer. Gesunde Bandscheiben stehen unter Druck, sie sorgen für Stabilität und ermöglichen die Bewegung der Wirbelkörper gegeneinander. Insgesamt verfügt die Wirbelsäule über 23 Bandscheiben.

Ein Bandscheibenvorfall tritt in 90 Prozent der Fälle im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) auf (lumbaler Bandscheibenvorfall), also im unteren Rücken. Deutlich seltener (in etwa 10% der Fälle) kommt es an der Halswirbelsäule (HWS) zu einem Bandscheibenvorfall (zervikaler Bandscheibenvorfall). Weniger als 1 % aller Bandscheibenvorfälle betreffen die Brustwirbelsäule (thorakaler Bandscheibenvorfall).

Was sind die Ursachen eines Bandscheibenvorfalls?

Die Bestandteile der Bandscheibe unterliegen einen natürlichen Alterungsprozess und nutzen sich mit dem Älterwerden ab. Der Gallertkern bindet dann immer weniger Wasser. Dadurch verliert er an Elastizität und kommt seiner Aufgabe als Puffer zwischen den Wirbeln nicht mehr ausreichend nach. In der Folge wird der schützende Faserring brüchig und locker. Wird die Bandscheibe nun übermäßig belastet, kann der Gallertkern verrutschen und auf den Faserring drücken (Vorwölbung, Protrusion) oder diesen durchbrechen. Passiert letzteres, liegt ein Bandscheibenvorfall (Prolaps, Discusprolaps) vor, der auf einzelne Nerven oder auch das Rückenmark drücken kann.

Doch nicht nur das Alter trägt zu diesem Prozess des Verschleißes bei. Vor allem spielt die Veranlagung des Menschen (also die Gene) eine wichtige Rolle. Hinzu kommt eine große „Unbekannte“, die ein Großteil der Verschleißerscheinungen verursacht aber bis heute ungeklärt bleibt. Gefördert wird der Verschleiß durch alles, was den Rücken belastet: Übergewicht, Fehlbelastung durch langes Sitzen und viel schweres Heben. Wer sich zum Beispiel nach vorne beugt und mit krummem Rücken einen Kasten Wasser hochhebt, der übt eine enorme Belastung auf die Lendenwirbelsäule aus – und damit auch einen vermehrten Druck auf die Bandscheiben. Rauchen ist ebenfalls ein begünstigender Faktor.

Was sind Symptome eines Bandscheibenvorfalls?

Großer Bandscheibenvorfall L5/S1 im Querschnittsbild

Die Lage des Bandscheibenvorfalls im Spinalkanal (mit Pfeil markiert) im Querschnittsbild. Achte auf die Verdrängung der Nervenstrukturen (hell)

Wie sich ein Bandscheibenvorfall äußert, hängt davon ab, wie ausgeprägt er ist und wo er auftritt. Verrutscht der Gallertkern einer Bandscheibe nur geringfügig, spüren Betroffene unter Umständen überhaupt keine Schmerzen oder Einschränkungen. Eine sehr kräftige Rückenmuskulatur kann ebenso dazu beitragen, dass keine oder nur schwache Symptome auftreten. Einige Studien zeigen, dass mehr als 50% der Durchschnittsbevölkerung einen nicht symptomatischen Bandscheibenvorfall aufweisen.

Doch drückt das ausgetretene Gewebe auf Nerven, die vom Rückenmark in der Wirbelsäule aus abgehen, entstehen Beschwerden. Ein Vorfall an der Lendenwirbelsäule verursacht dann stechende Schmerzen im unteren Rücken, die häufig in Beine und Füße ausstrahlen (meistens einseitig). Vor allem in den Beinen kann es zu Taubheit und Kribbeln kommen. Die Beschwerden treten oft plötzlich auf, nachdem Betroffene ihre Wirbelsäule stark belastet haben. Nach dem akuten Bandscheibenvorfall verstärkt zunächst jede Bewegung des Rückens die Symptome. Auch Husten und Niesen lassen die Schmerzen kurzzeitig schlimmer werden.

Bandscheibenvorfälle der Halswirbelsäule können neben lokalen Nacken- und Schulterschmerzen durch Druck auf die Nervenwurzeln ausstrahlende Schmerzen in den Armen verursachen. Auch Lähmungserscheinungen einzelner Muskelgruppen können sowohl im Bereich der Arme, als auch Beine auftreten.

In sehr seltenen Fällen drückt der Bandscheibenvorfall direkt auf das Rückenmark. Dann treten Taubheit, Kribbeln und ein Schwächegefühl in Armen und Beinen auf. Zudem sind in solchen Fällen häufig die Schließmuskeln von Blase und Darm gestört, was für Probleme bei Wasserlassen und Stuhlgang sowie für ein taubes Gefühl im Genitalbereich sorgt. Bei diesem sogenannten Cauda-Syndrom handelt es sich um einen Notfall – Betroffene sollten sich sofort in ärztliche Behandlung begeben.

Wie stellt der Arzt einen Bandscheibenvorfall fest

Zur Diagnosestellung eines Bandscheibenvorfalls fragt der Arzt den Patienten zunächst ausführlich nach seinen Beschwerden. Anschließend erfolgt eine umfassende körperliche Untersuchung. Weisen die Beschwerden auf einen Bandscheibenvorfall hin, wird man diesen am ehesten mittels eines Schnittbildverfahrens, der Kernspintomografie (Magnet Resonanz Tomographie MRT) diagnostizieren. Alternativ ist die Diagnose auch mittels einer Computertomografie möglich. Allerdings ist die Aussagekraft nicht genauso hoch wie bei der MRT Untersuchung und der Patient wird einer höheren Strahlenbelastung ausgesetzt.

Einen Bandscheibenvorfall behandeln

Im Vordergrund der Beschwerden steht in aller Regel der Schmerz. Diese können durch verschiedene Schmerzmedikamente gedämpft werden. Die meisten Bandscheibenvorfälle trocknen innerhalb von 2 – 4 Wochen ein und drücken dadurch weniger auf den Nerv, wodurch der Schmerz nachlässt. Der Mehrzahl der betroffenen Patienten geht es nach 4 Wochen schon deutlich besser. Der Bandscheibenvorfall selbst wird oft innerhalb von sechs Monaten resorbiert (abgebaut).

Konservative Behandlung

Bei bis zu 90 Prozent der Patienten bessern sich die Beschwerden mithilfe einer konservativen Therapie oder verschwinden nach einigen Wochen sogar vollständig. Dazu zählt neben schmerzlindernden Medikamenten auch Wärme. Rotlicht, Heizkissen und Fango-oder Moor-Packungen fördern die Durchblutung und lösen schmerzhafte Verspannungen der Muskeln. Eine längere körperliche Schonung sollte vermieden werden. So bald wie möglich sollten Betroffene damit beginnen ihre Bauch- und Rückenmuskulatur zu stärken. Das entlastet die Wirbelsäule, und damit auch die Bandscheiben. In der Physiotherapie (Krankengymnastik) lernen Patienten entsprechende Übungen die Sie dann auch selbständig fortführen sollten. Eine regelmäßige ärztliche Überprüfung des Verlaufes ist zu empfehlen.

Operative Therapie

Eine Operation sollte nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn trotz intensiver konservativer Therapiemaßnahmen starke Beschwerden (Schmerzen) fortbestehen oder Nervenschäden zu Lähmungen einzelner Muskelgruppen (z.B. Fußheberlähmung) führen. Eine absolute und zügige Entscheidung einen Bandscheibenvorfall zu operieren besteht bei hochgradigen Lähmungen oder Problemen bei Wasserlassen und Stuhlgang (Cauda-Syndrom).

Hamburger Rückenspezialist im OP mit MikroskopDie moderne Technik hat minimalinvasive Eingriffe an der Wirbelsäule zur Standardbehandlung gemacht. Die meisten Bandscheibenoperationen werden heutzutage unter dem Mikroskop durchgeführt (mikrochirurgische Technik). Dieses ermöglicht dem Operateur ein schonendes und sicheres Vorgehen. Minimal invasive Verfahren wie der Zugang zum Bandscheibenvorfall durch einen kleinen Tubuszugang („Röhrchen“) oder auch voll endoskopische Eingriffe verbreiten sich ebenfalls zunehmend, wobei die Überlegenheit eines Verfahrens wissenschaftlich noch nicht bewiesen ist.

Präparat eines operativ entfernten Bandscheibenvorfalls

Entfernter Bandscheibenvorfall

Bandscheibenvorfälle im Bereich der Halswirbelsäule sind komplexer in ihrer operativen Therapie. Je nach Lage, Größe und Ausdehnung des Bandscheibenvorfalles kommen Eingriffe von vorne oder auch vom Nackenbereich in Betracht. Bei einem Zugang von vorne wird die gesamte betroffene Bandscheibe entfernt und anschließend ein Platzhalter (Cage oder Korb) oder auch eine künstliche Bandscheibe eingesetzt. Beim Zugang vom Nacken aus (hinten) wird lediglich das vorgefallenen Bandscheibengewebe im Nervenaustrittskanal entfernt und damit der Nerv vom Druck entlastet.

Nach einer Operation sollte der Nervenschmerz verschwunden sein. Eine bestehende Taubheit z.B. im Bein oder auch eine Schwäche einzelner Muskeln können anschließend noch weiter bestehen und sich dann erst im Verlauf zurückbilden. Der Krankenhausaufenthalt bei einer Operation ist in der Regel auf 2-3 Tage beschränkt. Anschließend erfolgt eine ambulante Rehabilitation.

Der Erfolg einer OP variiert entsprechend der weiter noch bestehenden Erkrankungen des Patienten (z.B. ist sie bei Rauchern schlechter). Generell lässt sich sagen, dass 70-95% der Patienten nach einer Operation eines Bandscheibenvorfalls auch mittel- und langfristig zufrieden sind.

Wie lange ist man nach einer Operation arbeitsunfähig?

Wie lange man nach einer Bandscheibenoperation arbeitsunfähig ist, hängt natürlich sehr davon ab, was man beruflich macht. Bürotätigkeiten können nach 2 Wochen wieder aufgenommen werden. Bei körperlich schweren Tätigkeiten muss man eventuell 6-12 Wochen warten, bis die körperliche Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit wieder hergestellt ist.

Wie kann ich mich vor einem Bandscheibenvorfall schützen?

Einen 100-prozentigen Schutz vor einem Bandscheibenvorfall gibt es nicht. Trotzdem kann man vorbeugend einiges tun. Eine starke Rückenmuskulatur und das Vermeiden von hohen Belastungen der Wirbelsäule sind wichtige Faktoren, um einem Bandscheibenvorfall vorzubeugen. Hierzu gehören Bewegung, Sport und ein spezifisches Muskeltraining. Übergewicht sollte vermieden werden.

Überwiegend sitzende Tätigkeiten gilt es ebenfalls zu vermeiden, der Arbeitsplatz sollte nach Möglichkeit rückengerecht eingerichtet werden (höhenverstellbarere Schreibtisch, Stehpult, Telefonieren mit Head Set etc.). Schwere Gewichte sollten rückenfreundlich bewegt werden. Also zum Anheben in die Knie gehen, den Rücken gerade halten und das Gewicht eng am Körper tragen.